"Mentale Stärke und richtige Technik" von Diplom-Sportpädagoge Jürgen Fais richtet sich an Frauen. Fais hat viele Jahre Erfahrung in verschiedenen Disziplinen. Über einen Background im Bereich Selbstverteidigung finden wir im Buch und im www nichts.
Das Buch ist auf 94 Seiten gut strukturiert und beinhaltet mehr als 45 Bilder. Es geht auf diverse psychische und andere Faktoren ein, die zum Thema Selbstverteidigung relevant sind. Ob es nun Körpersprache ist, die Signale, die man aussendet, das eigene Bild, Kommunikationsmodelle und mehr. Ab Seite 68 auf weiteren 14 Seiten geht es um Techniken und ab Seite 82 um weitere relevante Aspekte.
Sätze wie (Seite 38 Kästchen): "In Selbstverteidigungssituationen sollte Ihre Körpersprache Selbstbewusstsein, Entschiedenheit und Durchsetzungsfähigkeit ausstrahlen" sind wichtig und so findet frau in dem Buch immer wieder Anregungen, was sie an sich verbessern kann, um schon mal eine gute Ausgangslage vor der eigentlichen Kampfhandlung zu haben. Auch das "Wachrütteln" bezüglich der eigenen Grenzen betreibt das Buch sehr gut. Auf Seite 41 (Kästchen) sagt es: "Achten Sie darauf, wer Ihre territoriale Zone in Frage stellt bzw. nicht akzeptiert (...)" In anderen Büchern finden wir solche guten Ratschläge oft nicht.
Leider enthält das Buch auch einige Sätze, die so nur teils stimmen. So auf Seite 45: "Allerdings spielt das [die Maximalkraft] für die Selbstverteidigung keine große Rolle, da die Schlag- bzw. Trittstärke über (...) die Geschwindigkeit (...) wieder ausgeglichen werden kann.". Anhand der Formel für Energie wissen wir, dass die Masse auch ein entscheidender Faktor ist. Beim Einsatz vom Körper kann man sich dann überlegen, ob ein Mann mit 120 Kilo fester zuschlägt, als eine Frau mit z. B. 60 Kilo und etwas schnellerem Fauststoß. Wir können uns auch überlegen, warum wir in Tunieren Gewichtsklassen haben und warum nicht 66-Kilo-Boxer gegen Mike Tyson antreten.
Auf Seite 47 beschäftigt sich der Autor mit der theoretischen Wirkung eines Treffers an verschiedenen Körperstellen. Dabei geht er immer von Wirkungstreffern aus. Also gut platzierte, starke Treffer. Im Grunde erzählt er an dieser Stelle Märchen. Ein Schlag in die Magengrube führt nicht unbedingt zu Atemnot und auch ein Schlag gegen das Kinn muss keine Störung des Bewusstseins zur Folge haben. Eine Relativierung hätte an der Stelle gut getan.
Auf Seite 70 rät das Buch zu einem stabilen Stand. Doch wie übt man diesen und was, wenn man seine Position wechseln muss? Wie übt man Stabilität bei Schritt- und Trittarbeit? Hierzu findet man nichts.
2 + 2 + 2 Quatsch
Ab Seite 71 und den folgenden Seiten propagiert der Autor ein 2 + 2 + 2-Konzept. Es bedeutet 2 Aktionen im Beinbereich, 2 Aktionen in der Mitte (Bauch etc) und dann 2 Aktionen oben (Hals/Kopf). Diese Kombination "ist bei fast allen Angriffen umsetzbar" (S 71 u.r.). Er spricht im Folgenden von "Schocktechnik" und meint damit, dass der Angreifer erst geschockt wird und dass weiterfolgende Verteidigunsmaßnahmen einfach durchzuführen sind, weil die Balance/Aufmerksamkeit des Angreifers gestört wird. Ja, dies kann so sein. Wenn ich einem Angreifer sehr fest gegen das Schienbein trete, kann es sein, dass er sich mit dem Oberkörper nach unten neigt, dass er dort kurze Zeit wartet, dass der Verteidiger eine weitere Aktion macht und dass er im Folgenden so verwirrt bleibt, dass Folgeaktionen immer funktionieren. Aber dies ist unwahrscheinlich. So schreibt er auf Seite 78 (das Bild zeigt eine von hinten gewürgte Frau, dahinter versetzt der würgende Mann): "schlagen Sie dem Angreifer mit voller Wucht in den Unterleib, bis er den Würgeangriff löst". Es stellen sich Fragen: Was ist, wenn der Mann nach dem ersten Treffer auf seine Jeans so stark würgt, dass die Frau in Rückenlage gerät und keine Luft mehr bekommt?
Das Buch hat seinen Schwerpunkt nicht in Techniken oder Prinzipien der Selbstverteidigung. Daher ist es für denjenigen eine Empfehlung, der sich vor allem mit allen anderen relevanten Aspekten zu diesem Thema auseinandersetzen möchte. Wenn es jemandem vor allem darum geht, etwas Sinnvolles zum Training und zu Techniken der Kampfkunst oder des Kampfsports zu erfahren, ist hier falsch. Das Buch ist kein Leitfaden, wie man trainiert, was man trainiert, wie oft man trainiert oder auch welche Stile denn so sinnvoll wären, dass frau sie sich näher anschaut. Beispielsweise erfährt man nichts über unterschiedliche Konzepte wie z. B. eher bodenkampforientierte Stile oder Stile, die Bodenkampf gar nicht im Programm haben.
Das Buch macht es sich auch allzu leicht mit dem Thema Verteidigung. Das Lernen von einfachen Tricks und einer 2 + 2 + 2-Methode soll bei realistischen Angriffen funktionieren? Eher nicht. An der Stelle hätte das Buch besser Werbung dafür gemacht, dass sich frau in einer Schule oder einem Verein für Selbstverteidigung anmeldet und längere Zeit ernsthaft an dem Thema trainiert. Das Buch hätte die Frage stellen können: Wie wichtig ist Ihnen das Gefühl, dass Sie fähig wären, einen einfachen Angriff von einem Menschen mit ähnlichem Gewicht und wenig Kampferfahrung abwehren zu können? Wie viel Zeit und Geld möchten Sie in Ihr eigenes Sicherheitstraining investieren? Das Buch bestärkt frau in vielen wichtigen Themen. An der Stelle ist das Buch gelungen. Es versagt aber beim nächsten Schritt, nämlich die Forderung zu stellen, dass man sich diese Sicherheit durch sehr viel hartes Training erarbeiten muss. 2 + 2 + 2 genügt bei Weitem nicht und hinterlässt die Leserinnen in falschen Vorstellungen, die gefährlich werden können.
In diesem Buch werden zwar viele relevante Aspekte betrachtet, dies genügt aber nicht für eine effektive Selbstverteidigung.
Autor: Jürgen Fais
ISBN-10 : 3835401300